Frühjahr 1952

 (Ursel Zülck/Liesbeth Dau)

 Im Frühjahr 1952 wurden wir in Kenntnis gesetzt, daß unser Betrieb laut Beschluß des Rates des Kreises Parchim unter die Verordnung über devastierte landwirtschaftliche Betriebe fällt. Entsprechend dem Kontrollgesetz sollte ein Treuhänder eingesetzt oder die Verpachtung durchgeführt werden. Es geschah aber nichts. Wir mußten weiter wirtschaften, alles abliefern, durften darüber hinaus nichts veräußern oder entfernen. Es war für uns ein besonders schweres Jahr, denn auch in diesem Frühjahr wurde in einer Nacht durch einen heftigen Wirbelsturm das ganze Scheunendach (Rohrdach) abgehoben und weggetragen. Mitten auf dem Hof blieb es völlig zerschlagen liegen. Wirtschaftlich war es ein heftiger Schlag. Die Aufräumungsarbeiten und das Aufbringen eines neuen Daches (jetzt Pappdach) nahmen zusätzlich Zeit und Kraft in Anspruch, verursachten große Kosten.

Ende Juli begann in Ruest die große Bauernflucht. Es wurde die LPG Ruest "Neues Leben" gegründet, die dann alle verlassenen Grundstücke bewirtschaftete. Im Dorf selbst waren von den neun Bauern nur noch unser Nachbar Wilhelm Dau und wir dort. Da wir freiwillig nicht fortgingen, mußten andere Maßnahmen ergriffen werden. So wurde auch unsere Wirtschaft am 1. 2. 1953 einfach von der LPG übernommen

Es kamen der damalige Bürgermeister, der LPG-Vorsitzende und einige Mitglieder, die uns erklärten, daß wir nichts mehr in der Wirtschaft, in den Stallungen und dergleichen zu tun hätten. Sie wären gewissermaßen der Treuhänder und für alles Geschehen auf dem Grundstück verantwortlich. Als mein Mann auf eine ordnungsgemäße Übergabe bestand, wurde er tätlich angegriffen, beschimpft und mit Freiheitsentzug bedroht. Die Inventarverzeichnisse, die wir schon längst aufgestellt hatten, wurden vor seinen Augen zerrissen.

Am 6. 4. 1953, es war ein Tag nach Ostern (Ostern wurde noch unsere jüngste Tochter in der Ruester Kirche getauft), wurde plötzlich ein Leiterwagen vor unsere Veranda gefahren. Vier Männer aus der LPG, was für Funktionen sie hatten, weiß ich nicht mehr, zeigten uns ein Schriftstück, vom Landrat unterschrieben, daß sie ermächtigte, uns fortzubringen. Innerhalb von zwei Stunden sollten wir das notwendigste, persönliche Mobiliar (Bett, Tisch, Stuhl, einige Hausgegenstände) aufgeladen haben. Immerhin bestand unsere Familie aus sieben Personen, wir hatten für Eltern und drei Kinder zu sorgen. Wohin wir kämen würden wir in Mestlin erfahren. Mein Mann hatte immer mit den Klein Pritzern ein gutes Verhältnis. Unsere Felder grenzten aneinander, sie hatten uns oft ihre Hilfe angeboten, falls wir in Not kämen. Jetzt fuhr mein Mann in großer Eile zu ihnen. Der ehemalige Schweizer alarmierte die Siedler. In unwahrscheinlich kurzer Zeit machten sich die Siedler auf den Weg, die erreichbar und abkömmlich waren. Meistens hatten sie ja nur einen kleinen Kastenwagen und ein Pferd. Sie spannten auch zusammen vor einen Leiterwagen und so rückten sie nach und nach auf unserem Hof. Einer der Siedler, auch Mitglied der SED, hatte das Wort und erklärte den Männern der Mestliner LPG, daß sie überflüssig wären und nach Hause gehen sollten. Er würde die Verantwortung übernehmen und für eine menschenwürdige Aussiedlung sorgen. Wenn es schon überhaupt geschehen müsse, dann nicht so brutal. Der Leiterwagen der LPG, den wir inzwischen schon mit einigen Sachen beladen mußten, wurde von den Siedlern wieder leer gemacht und der Wagen auf die Dorfstraße geschoben. Danach beluden sie ihre Fuhrwerke. Wenn sie auch schnell voll waren, bekamen wir doch das notwendigste, persönliche Hab und Gut mit. Alle wirtschaftlichen Dinge mußten zurückbleiben. Das galt auch für Eimer, Milchkannen, Arbeitsgeräte, auch für Feuerung, Lebensmittel, Kartoffeln usw. In den Mittagsstunden ging der Abzug los. Auf dem letzten Kastenwagen saßen meine Schwiegereltern und ich mit den drei Kindern, mein Mann ging mit dem Hund hinterher. Für die Eltern, fast 80 Jahre alt, war es unfaßbar, so vom Hofe getrieben zu werden, der über Generationen im Besitz der Familie war, mindestens seit 1635.

Bei unserem Nachbarn Dau verlief die Aussiedlung am gleichen Tag in ähnlicher Art und Weise. In Mestlin trafen wir zusammen und erfuhren, daß wir vorerst im Ausbau auf die Baustelle von Kröger gebracht werden sollten. Wir hatten mit sieben Personen zwei kleine Räume, Daus mit drei Personen einen Raum und gemeinsame Küchenbenutzung.

Ein paar Tage später wurde Wilhelm Dau aus dieser Unterkunft von der Polizei mit Wachhunden abgeholt, gefesselt abgeführt, zu Fuß bis Mestlin und dann nach Bützow   gebracht. Von dem Tag an war mein Mann kaum noch auf dem Grundstück, irrte Tag und Nacht umher, kam nur mal kurz zum Essen. Er befürchtete, daß auch er abgeholt würde. Inzwischen war laut geworden, daß wir in Arbeitslager gebracht und daß mit den Bauern Schauprozesse durchgeführt werden sollten, so wie es in Techentin der Fall war. Die Bauern wurden wie Schwerverbrecher im Saal der Gastwirtschaft gefesselt vorgeführt und wegen "Wirtschaftsvergehen", sprich Nichterfüllung des Ablieferungssolls, das für die Bauern bewußt hoch gesetzt war, zu mehreren Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Der Bauer war eben Freiwild.

Mein Mann wollte für uns eine andere Bleibe ausfindig machen. Durch Hilfe von guten Freunden und Bekannten gelang es. Ein ehemaliger Schulfreund war zu der Zeit in der Betriebsgewerkschaftsleitung des Forstwirtschaftsbetriebes Parchim tätig. Er vermittelte, daß wir in Jellen, einem Ortsteil von Dobbertin, in das Forsthaus einziehen konnten. Nach der Flucht des Försters stand es schon zwei Jahre leer. Es kam noch hinzu, daß in den Forstbetrieben Arbeitskräfte gesucht wurden, die vorwiegend als Gespannführer eingesetzt werden sollten. Den Forstbetrieben waren nämlich die Pferde zugeteilt, die auf den verlassenen Bauernhöfen standen. Nun mußten die Forstbetriebe selbst für die Abfuhr des Holzes aus ihren Wäldern sorgen. Bis zu der großen Bauernflucht waren die Bauern laut Befehl der Sowjetischen Militäradministration verpflichtet, den Holzeinschlag und das Rücken von Langholz für die Sowjetarmee durchzuführen, oft aus weit entlegenen Revieren. So bot sich die Möglichkeit, Arbeit und Wohnung zu bekommen. Wieder andere Freunde, die einen kleinen Lastkraftwagen hatten und vorwiegend Getreide, Kartoffeln und Zuckerrüben von den Bauern abholten, halfen uns wieder und führten heimlich den Umzug unserer bescheidenen Habe von Ruest/Ausbau nach Jellen durch. Erst einige Wochen später meldeten wir uns polizeilich um; es hatte den Anschein, als ob unser Verbleib gar nicht mehr interessierte. Jellen lag ja sehr entlegen. Es gab dort weder Wasserleitung noch Licht. Erst 1956 wurde der Ort elektrifiziert.

So hieß es dann: "Na, da sagen sich ja Fuchs und Has gute Nacht, da mögen Sie dann ja weiter vegetieren."

Am 6. April 1953 mußten auch der Bauer Wilhelm Dau und seine Familie ihren Hof verlassen. Ihre Zwangsvertreibung vollzieht sich ähnlich der von Zülck und Familie. Grete Dau, die Tochter, schreibt, daß ihre Eltern und sie zu Hufe XVI (Dollase/Kröger) gebracht wurden. Ihr Vater wurde in den nächsten Tagen verhaftet unter dem Vorwurf, Hafergarben versteckt und eine Kuh nach Dinnies gebracht zu haben. Und daß heimlich gebuttert wurde. Als ihr Vater wieder frei war, setzten sie sich nach Westberlin ab.

 

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Vorwort

 

Mein erster Lebensabschnitt gehört einer Landschaft und einem Dorf, welche ich sehr geliebt habe und noch liebe. Mich verband aber auch viel mit den Menschen, die dort lebten. Und dieses Miteinander veranlaßte mich, die Geschichten über mein Heimatdorf Ruest aufzuschreiben.

Es ist ein armseliges Dorf geworden. Es macht traurig, sich dort umzusehen. Viele Erinnerungen aus der Jugendzeit werden dabei wach und die Worte stellen sich ein: “Weißt Du noch?"

Leicht ist es nicht, im Nachhinein solche Aufzeichnungen aus der Ferne zu machen. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, unseren Nachfahren ein Stück Heimat erhalten zu haben.

Mein zweiter Lebensabschnitt begann in der Fremde. Wir wußten nach der Flucht nicht, was uns bevorstand. Aber gemeinsam, mit meinem 72-jährigen Vater, meiner Frau und den Kindern, packten wir es an. Wir haben es gemeistert. Das Schicksal war uns hold.

Doch die Heimat bleibt!

 

Johann-Georg Nehls                                       Mülheim/Ruhr, Juni 1994

 

 

 

 

Hufe XIII “Eichenhof" im Jahre 1947

 

Vorwort

 

Mein erster Lebensabschnitt gehört einer Landschaft und einem Dorf, welche ich sehr geliebt habe und noch liebe. Mich verband aber auch viel mit den Menschen, die dort lebten. Und dieses Miteinander veranlaßte mich, die Geschichten über mein Heimatdorf Ruest aufzuschreiben.

Es ist ein armseliges Dorf geworden. Es macht traurig, sich dort umzusehen. Viele Erinnerungen aus der Jugendzeit werden dabei wach und die Worte stellen sich ein: “Weißt Du noch?"

Leicht ist es nicht, im Nachhinein solche Aufzeichnungen aus der Ferne zu machen. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, unseren Nachfahren ein Stück Heimat erhalten zu haben.

Mein zweiter Lebensabschnitt begann in der Fremde. Wir wußten nach der Flucht nicht, was uns bevorstand. Aber gemeinsam, mit meinem 72-jährigen Vater, meiner Frau und den Kindern, packten wir es an. Wir haben es gemeistert. Das Schicksal war uns hold.

Doch die Heimat bleibt!

 

Johann-Georg Nehls                                       Mülheim/Ruhr, Juni 1994

 

 

 

 

Hufe XIII “Eichenhof" im Jahre 1947