Vererbpachtung / Bauernbefreiung

(J.-G. Nehls)

1832 wird der erste Schritt zur modernen Ackerwirtschaft, also aus der Zerstückelung der Flächen zur Arrondierung, getan. Als Zeitpächter waren die Bauern immer noch gewissen Unsicherheiten am Ende ihrer Kontraktjahre ausgesetzt, was sich zum Beispiel negativ auf die Entwicklung der Feldkultur auswirkte. So hüteten sich die "Hauswirte", Verbesserungen an ihren Ländereien vorzunehmen, weil sie nicht sicher wußten, ob ihre Hufen nicht nach wenigen Jahren in den Besitz anderer übergehen würden. "Mit der Vererbpachtung sollten die Bauern Eigentümer ihrer Ländereien und Hofstellen werden, d. h., die ihnen als Hauswirte auf Zeitpacht vom Kloster zur Verfügung gestellten Produktionsmittel (Hofwehren) sollten in den bäuerlichen Besitz überführt werden."

Für das erbliche Nutzungsrecht mußten die Bauern einen jährlichen Kanon in Gestalt einer unveränderlichen Geldsumme zahlen, welche als erste Hypothek auf der Hufe eingetragen und mit jährlich 4% verzinst wurde. Das Wort "Erbpächter" ist außerhalb Mecklenburgs ungebräuchlich. Statt der in kleinen Streifen zerschnittenen Bauernfelder rings um das Dorf sah man nun große Ackerschläge, zwischen denen Bauernhöfe lagen (Ausgebaute), die sich an Größe und Bauweise kaum unterschieden. Doch auch die recht bescheidenen Rechte der Inhaber der rechtskräftigen Erbpachtkontrakte suchten die Dobbertiner Klostervorsteher nachträglich so weit wie möglich zu schmälern, indem sie den Erbpächtern 1855 sogenannte Additional-Akten zu ihren Kontrakten aushändigten. Danach sollten nunmehr auch die (von den Bauern selbst errichteten oder zum vollen Kaufpreis erworbenen) Gebäude einem erblichen Nutzungsrecht unterliegen. Vor allem aber wurde durch die Additionalakten das Veräußerungsgsrecht der Erbpächter erheblich eingeschränkt. Die betroffenen Klosterbauern, allen voran die Ruester Erbpächter, nahmen die Angriffe auf ihre kontraktlich fixierten Rechte nicht hin. Sie setzten sich gemeinschaftlich zur Wehr und erreichten schließlich im Jahre 1869 (mit Unterstützung der kleinen Schar liberaler, bürgerlicher Rittergutsbesitzer im Landtag) eine Revision der Additionalakten, die de facto auf die weitgehende Aushebung der Zusatzakte hinauslief. Die Vererbpachtung sollte sich langfristig nicht nur für die Klosterbauern als vorteilhaft erweisen, die Klosterämter profitierten in hohem Maße von der Reform.

Summa summarum: Wenn der Weg der mecklenburgischen Klosterbauern aus feudaler Abhängigkeit gewiß nicht idyllisch verlaufen ist, so war er doch keinesfalls derart dornenreich wie der, den die Bauern in den ritterschaftlichen Ämtern gehen mußten (Prof. Dr. Moll, 1994).

Um 1900 wird von einer gewissen Wohlhabenheit gesprochen. Es kursierte der Satz: “Die Ruester Bauern fühlen sich als kleine Könige in ihrem Reich!" 1833 kamen Mestliner Bauern nach Ruest in den Ausbau, auch Neu-Ruest genannt. Der Ruester Krug (Erbkrügerhof, Hufe 1) und Büthberg (III) wurden auch 1832/33 errichtet. Der Büthberghof hatte die Größe von 87 ha, was sicher mit teilweise schlechterem Boden und Moor zusammenhing (Franz Engel, 1934). Die Ausgebauten gehörten weiterhin zur Mestliner Kirche und die Kinder gingen in Mestlin zur Schule. Das blieb so bis 1945, als Ruest die Größe von 1351 ha hatte und der Büthberg von 137 ha.

Wenn auch die Abhängigkeit vom Klosteramt aufhörte, so änderten sich die Abgaben, die weit höher lagen als im Klosteramt. Im gehabten Stil wirtschafteten die Bauern weiter, sie mußten Schulden machen, was nicht gut war. Trotzdem blieben sie "Könige". Doch kein Hof mußte zwangsversteigert werden. 1927 verkaufte Grund seine beiden Höfe (III und V) an F. 0. Gehrkens. Beide Hofe blieben im Grundbuch bis 1945 getrennt aufgeführt. Auch Pingel (XXII) verkaufte an Steinfatt. Voss-Garling (XI) mußte kurz vor dem 2. Weltkrieg seinen Hof an Paul Holz verkaufen. Und Hermann Rieck (I) verkaufte um 1926 an Johann Brenncke, einen anderen Teil an Ferdinand Rüter, später an Johannes Blodow. Der Kanon wurde abgelöst (Gesetz über die Ablösung der bäuerlichen Lasten vom 6. April 1933, Fassung vom 1. Juli 1935, Reg.BI.St. 183) durch eine Tilgungshypothek in Höhe von 212 1, 10 Goldmark, 5 % jährlich mit 1 % Tilgung. Neben den 26 Ruester Bauern gab es noch Häusler und Büdner. 1933 waren Büdner: Lorenz und Ferdinand Rüter, Häusler: Bobzin, Prestin, Squarr, Lappe, Wilhelm Dau, Ernst Rüter.

Der 2. Weltkrieg brach aus, die jungen Männer zogen in den Krieg. 15 Ruester fielen an den Fronten. Am 3. Mai kam das Inferno nach Ruest. 5 Personen nahmensich das Leben, 4 Bauern wurden nach Fünfeichen verschleppt. Marten und Wolfram Cords kamen zurück, während Jarchow und Westphal ihr Leben lassen mußten. Ehrncke und Soltwedel wurden mit ihrer Familie ausgewiesen, kamen aber nach drei Wochen zurück. Bei dem Rücktransport starb Frieda Ehmcke in Parchim. So hatte der 2. Weltkrieg seinen Blutzoll mit 23 Personen gefordert, das war immerhin ein Zehntel der Bevölkerung.

1952 endete das Bestehen des Dorfes Ruest, weil die Bauern und einige Neubauern ihre Heimat fluchtartig verließen. Möge die Zeit kommen, wo aus den Ruinen wieder ein blühendes Dorf erwächst.